Dienstag, 29. Oktober 2013

Grenzgänger



Am Rande der kulturellen Zumutbarkeit

Kultur ist ja eine feine Sache. Kultur ist vielseitig, flexibel und die Ästhetik dabei liegt oft im Auge des Betrachters. Und manches Mal ist vermeintliche Kultur tatsächlich grenzwertig.
Folgendes Beispiel: Lesungen gehören für mich unbedingt zu einem guten Kulturprogramm. Welch Glück also, dass es in meiner dörflichen Heimat eine Bibliothek mit gelegentlichen Lesungen gibt, die ich allerdings grundsätzlich immer verpasse. Bis auf die Lesung am letzten Freitag.
Geworben wurde mit dem Bild des verwegen aussehenden Autors und spannenden Seemannsgeschichten aus persönlicher Erfahrung. Gerechnet habe ich mit bahn- und wellenbrechenden Thrillerauszügen oder mörderisch-detektivischen Aktivitäten auf See. Aber was mich schon beim Betreten des vorbereiteten Raumes in der Bibliothek erwartete, war alles andere als spannend oder gar bahnbrechend. Das einzige, das zu brechen drohte, waren die Stühle unter den gewaltigen Hintern der (Früh)Rentnerinnen!
Und damit nicht genug: Der Autor begann seine Lesung mit musikalischer Einstimmung, die er auf seiner Tuba vortrug, um sich dann anschließend seiner Gitarre zu widmen und zwischendurch kamen auch ein Akkordeon und ein Banjo zum Einsatz. Aber am besten fand ich seine Zwischenbemerkungen, wie gut seine Vorführungen doch bei Kindern ankämen und die Kinder fänden dieses und jenes Lied immer besonders schön und die Kinder sängen immer so schön mit, „das machen wir jetzt mal auch“.
Wie bitte? Ob der nicht gemerkt hat, dass hier keine Kinder sind? Zumindest hätte er sein Programm ja anpassen können. Doch als der Autor auch noch mit kindgerechter Stimme (ähnlich wie der Weihnachtsmann) fragte, ob denn alle ihre Schwimmwesten dabei hätten, konnte ich nicht mehr an mich halten und antwortete „Nein, aber die Meisten haben ihre Schwimmringe dabei!“
In der Pause sind wir dann lieber schnell gegangen, bevor uns noch jemand die Augen auskratzte.
Das war Freitag. Und als Entschädigung wollte ich mir am Sonntag das Konzert einer Cover-Glamrock-Band namens The Clogs ansehen. Unser kleiner Dorfclub war sogar gerammelt voll. Aber weder das noch die Wohnzimmeratmosphäre in einem kaum größeren Konzertraum haben der fabelhaften Stimmung einen Abbruch getan. Den einzigen Schock an diesem Abend bekam ich beim Anblick der Bühnenoutfits…
Ich bin ja ein großer Fan von rockigen und glamourösen Outfits, gern mit Rüschen wie bei The Sweet und glitzernden Schlaghosen wie bei T-Rex. Aber trotz musikalischer Glanzleistung traf der Kleidergeschmack der Herren mit den Holzschuhen auf meine persönlichen Grenzen des Zumutbaren. Oh je…ich habe schon lang nicht mehr so fürchterliche Bekleidung bei eigentlich wirklich guter Musik gesehen.
Aber ok, ich habe dann so oft wie möglich die Augen geschlossen und gut war’s. Immerhin gab es einen singender Trommler bzw. trommelnden Sänger und so ein Multitasking praktizierender Bühnengockel verdient immer meinen heftigsten Respekt.
Musikalisch hatten die Holzschuhträger definitiv und wirklich was drauf! Da ziehe ich auch gern meinen Leopardenhut und freue mich auf eine Fortsetzung – dann vielleicht mit stilsicherer Kleidung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen